Berichte

Ein Singspiel für Menschlichkeit und Toleranz

Sigi Atzmon, die langjährige, Vorsitzende des verdienstvollen Freundeskreises der ehemaligen Synagoge Hainsfarth, verabschiedete sich aus dem Vorsitz mit einem Auftritt des im Ries bereits bestens bekannten Jewish Chamber Orchestra Munich mit dem Dirigenten Daniel Grossmann.

Hermann Waltz, neuer Erster Vorsitzender des Vereins, und Stellvertretende Landrätin Claudia Marb in Vertretung von Landrat Stefan Rößle würdigten jeweils die prägende Persönlichkeit und die Verdienste der scheidenden Vorsitzenden um den Freundeskreis Ehemalige Synagoge Hainsfarth e. V.  und dessen Ziel, das Andenken an die erloschene Jüdische Gemeinde in Hainsfarth zu pflegen und für Toleranz und friedliches Zusammenleben allerorts einzutreten.

Gemeinderat Matthias Fritzsche übergab an Sigi Atzmon ein kleines, aber bedeutungsvolles Relikt aus dem jüdischen Leben in Hainsfarth eine „Mesusa“, eine Schriftkapsel, wie sie am Türpfosten jeder jüdischen Wohnstätte angebracht war, mit einem Blatt Pergament, beschriftet mit Abschnitten aus der Tora. Diese Mesusa wurde vor kurzem in einem Hainsfarther Wohnhaus entdeckt und dem Verein als Gedenkstück überlassen.

„Mendele Lohengrin“, ein Klezmer-Singspiel für eine Sängerin, einen Sprecher und Kammerorchester, ist eine Auftragskomposition des ukrainischen Komponisten Evgeni Orkin (Jg. 1977) für das JCOM. Es geht um die Geschichte des armen Straßenmusikanten Mendele Klezmer. Von Heinrich Elchanan York-Steiner, einem ungarisch-österreichischen Schriftsteller und Journalisten, und Zionisten (1859-1934), stammt die zugrundeliegende Erzählung; Martin Valdéz-Stauber hat das Libretto geschrieben. Das Werk ist ein Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz im Zeichen der Musik, aber nicht ohne tragische Aspekte.

Mendele, der Ich-Erzähler, beklagt seinen niedrigen gesellschaftlichen Rang als Straßenmusikant in seinem Heimatort Martinsdorf. Mit Spenden aus der Gemeinde erfüllt er sich seinen Traum, im kaiserlichen Hoftheater die Musik zu hören, die der Kaiser sich vorspielen lässt. Dort gibt man „Lohengrin“ von Richard Wagner. Das wird Mendeles Schlüsselerlebnis:

Ein Student klärt ihn auf: Wagner habe kämpfen müssen, bis seine Musik durchgedrungen sei. Alle eifern jetzt diesem großen Meister nach, und man müsse dazu beitragen, dass die Menschheit dem Verständnis Wagners „entgegenreife“. Die Lobeshymnen finden ein mächtiges Echo in der Seele des armen Mendele.

Mit einer Klezmer-Version des Radetzky-Marsches wechselt die Szene: Wir sind wieder in Martinsdorf.

Als Hochzeitsmusikant versucht Mendele, Kollegen und Publikum von Wagners Lohengrin zu begeistern. Aber das „Orchester“ versagt, die Musik wird zum Desaster. Mendele packt seine Sachen und geht erhobenen Hauptes seines Weges. Man hatte ihm ja gesagt, dass Wagner ausgelacht wurde, weil man ihn nicht verstand, warum sollte Martinsdorf besser sein als Wien?

Mendele hört von einem Musikstudenten die herrschende Meinung, dass Wagner ein Judenhasser sei. Und nicht gespielt werden sollte. Das versteht er nicht: „Fragt man in der Oper, wenn einer den Eintritt bezahlt hat, ob er Jud ist oder Goi? Ist Musik koscher?“ Mendele findet die judenfeindlichen Passagen in den „Gesammelten Schriften und Dichtungen von Richard Wagner“. Seine Welt bricht zusammen.

Die Seiten mit den ruchlosen Äußerungen Wagners-zerreißt er in tausend Fetzen. Dann hebt er mit beiden Armen etwas Großes hoch über sein Haupt empor, schleudert es wild von sich – ein dumpfer Schlag, ein winselnder Laut – die Trümmer des Bassettls (Cello zum Umhängen) von Mendele Klesmer liegen am Boden.

Das JCOM versteht es, mit dreizehn Instrumenten die Geschichte, die von Stefan Merki einfühlsam und dramatisch vorgelesen wird, von Klarinettenjauchzern bis donnergrollenden Basstönen klezmerhaft, dann wieder mit zartesten Streicherklängen Wagner-idyllisch und mit auftrumpfendem Radetzkysound k.u.k.-österreichisch-ungarisch auszumalen. Zeitweilig betätigen sich die Orchestermitglieder auch als ratschende Hochzeitsgesellschaft oder beteiligen sich an Mendeles Wagner-Zerreiß-Aktion. Als Star des Abends gestaltet die aus Wien stammende Mezzosopranistin EtheL Merhaut das Drama mit betörender Optik und Stimme.

Minutenlange stehende Ovationen Blumensträuße für die Protagonisten schließen den auf- und anregendsten Abend in der Geschichte der Hainsfarther Synagoge. 
Bericht: Friedrich Wörlen

Synagoge-Hainsfarth
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